Zweifel & Bedenken

„Was sagt denn Ihr Mann dazu?“

Nach meiner Entscheidung für den radikalen Schritt blieben mir noch ein paar Tage bis zur Operation. Aber dann machte mir eine heftige Erkältung einen Strich durch die Rechnung. Auch bis zum Folgetermin war ich noch nicht fit. Ich blieb mehrere Winterwochen mit Dauererkältung in der Warteschleife – es blieb viel Zeit für Zweifel und Grübeleien: Bin ich mir wirklich sicher?

Ich beschloss – notgedrungen – die Zeit zu nutzen, um meine Entscheidung noch einmal gründlich zu hinterfragen.

Ich sprach mit Freundinnen und bat um ihre Meinung. Es tat gut sie zu treffen, aber ich merkte, dass ich sie zuweilen überforderte – sie kannten sich damit ja nicht aus. Im virtuellen Raum traf ich schließlich Frauen, die ähnliche Probleme hatten – wir begannen uns auszutauschen. Die Frauen ermutigten mich, doch noch einmal die anderen Optionen zu prüfen, nach einem anderen plastischen Chirurgen zu suchen, ein anderes Verfahren auszuprobieren usw. Die Hauptargumente dafür waren meistens: „Du bist doch noch viel zu jung, um ohne Brust zu leben.“ und „Was sagt denn dein Mann dazu? Meiner käme damit nicht klar.“ Aber auch: „Du musst das für dich machen, für niemanden sonst.“ Ein guter Rat.

Was ist mir wichtig?

Nach den Erfahrungen der letzten Jahre:

  1. Gesund sein.
  2. Körperlich nicht unnötig eingeschränkt sein, mich bewegen und jeden Sport machen können, der mir gut tut.

Aber unten drunter grummelte noch dieses: „Ich möchte geliebt werden.“ Und jenes: „Ich möchte attraktiv sein. Ich möchte nicht auffallen usw.“

(Doch was hat das eigentlich mit meiner Brust zu tun?)

Die erneute Beschäftigung mit den verschiedenen Operationsmethoden bei den verschiedenen Spezialisten der Republik waren insofern hilfreich, als mir klar wurde: Die perfekte Lösung gibt es nicht. Aber es würde mich mehr Mut, Zeit, Geduld und Einschränkungen kosten, als ich zu opfern bereit war, um am Ende den Zustand einer Brust zu konservieren, die eigentlich mit mir alt werden sollte und nicht repariert oder gar „verschönert“.

Je sicherer ich mir wurde, dass ein erneuter Rekonstruktionsversuch nicht mein Weg sein würde, umso befreiter konnte ich mich schließlich konkret damit auseinander setzen, was eine (beidseitige) Mastektomie tatsächlich bedeutet.

Brustlos ist nicht flach

Es ist leider keineswegs selbstverständlich, dass der Brustkorb nach einer Mastektomie einfach flach ist. Fehlt die Brust, kommen darunter Knochenstrukturen zum Vorschein, die sonst verborgen sind. Der Oberkörper kann eher nach innen gewölbt sein. Vielleicht steht auch ein Rippenbogen mehr hervor als ein anderer. Asymmetrien im Körperbau werden offensichtlicher.

Wer eine kleine Brust hat, erlebt wahrscheinlich weniger Überraschungen als eine Frau mit vorher großem Busen: Eine Frau mit kleiner Brust kann vorher schon ganz gut abschätzen, wie das Endergebnis die Silhouette beeinflussen wird.

Der Spruch einer Freundin ging mir nicht aus dem Kopf: „Solange der Bauch einer Frau nicht weiter vorsteht als ihre Brust, ist alles gut.“ Mhm, darüber muss ich noch nachdenken …

Plan E (wie Epithese)

Für alle Fälle nahm ich meinen Mut zusammen und stattete dem Sanitätshaus einen Besuch ab, um mir Epithesen anzuschauen. (Epithesen dienen dem ästhetischen Ausgleich von Körperdefekten und sind im Gegensatz zu Prosthesen und Orthesen im Prinzip „funktionslos“.) Bevor jemand Zeit für mich fand, schaute ich mich im Laden um und betrachtete Schnabeltassen, Windeln, Kompressionsstrümpfe und Klistiere. Ich fühlte mich fehl am Platz oder besser – um Jahrzehnte gealtert. Ewas überrascht, aber freundlich zeigte mir die Verkäuferin im Séparée verschiedene Prothesen. Ihr Anblick war sehr gewöhnungsbedürftig, aber einige fühlten sich wirklich toll an. Nach einer beidseitigen Mastektomie würde ich mir sogar die Größe aussuchen können. Wow!

Ich verließ den Laden nicht 100 %-ig überzeugt, aber die Epithesen gaben mir ein Gefühl der Sicherheit, kaschieren zu können, wenn ich denn wollte.

Nur was, wenn nicht? Welche Teile aus meinem Kleiderschrank würde ich noch tragen können? Wäsche? Bikini? Badeanzug?

„Klein, aber oho! Die besten Styling-Tips.“

Glück im Unglück – dieses Thema war mir nicht ganz fremd. Was die Modemagazine Frauen mit kleinem Busen rieten, konnte für brustlose Frauen nicht ganz falsch sein:

  • Plissee und Legefalten, Raffungen, Volants, Rüschen
  • Fransen, Applikationen, Brusttaschen oder Stickereien
  • Lingerie-Style
  • Carmen-Ausschnitte
  • Wickel-/Empiremodelle mit nach oben geschobener Taille
  • Spitzen- und Häkeltops
  • Querstreifen
  • Wasserfallausschnitte
  • Rückenfreie Teile
  • große Karos/Muster/Blockstreifen, üppige Blütendrucke oder Animalprints

Vielleicht nicht alles unbedingt mein Stil, aber …

Da geht doch was.

Es war, als hätte jemand den Schalter umgelegt. Ich wusste, ich würde etwas verlieren. Und gleichzeitig fing etwas Neues an. Ein Leben ohne Angst, ständige Arztbesuche und Betteleien um Hilfe. Ein Leben mit alter Beweglichkeit. Ein bewussteres Leben, bei dem mein Körper nicht als Fassade im Mittelpunkt stehen würde, sondern als mein Zuhause. Wie bei einem Umzug machte ich mich ans Ausmisten und die Neuausstattung.

Ich kann nicht sagen, dass ich vollkommen sicher war, als ich zur Aufnahme in die Klinik ging. Aber ich hatte das Gefühl, unter den möglichen Kompromissen den gewählt zu haben, der am besten zu mir passt.