Nach der OP

Befreit

Die Nächte in der Klinik waren wie immer schwierig gewesen. Zum Glück hatte ich mich darauf vorbereitet. Und so lag ich in den (sehr) frühen Morgenstunden regelmäßig im Halbdunkel wach, mit Kopfhörern unter der warmen Decke und hörte Musik. Wenn es nicht zu eisig war, konnte ich das Fenster einen Spalt weit öffnen und dann wehte die frische Nachtluft herein und bewegte die Gardine. Die Zeit verging langsam. Ich erinnere mich noch gut an die Musik, die so intensive Glücksgefühle auslöste, dass ich zum ersten Mal nach der Mastektomie meine Hand auf den flachen Brustkorb legte. Mir kamen die Tränen. Ich war beschnitten, ja. Aber ich hatte meinen Körper aus Fleisch und Blut zurück, ohne Silikonball, über den sich die Haut spannt.

Ersatzhügel

Am zweiten Tag nach der Operation wirbelte eine junge Frau aus dem Sanitätshaus beherzt ins Zimmer. Sie überreichte mir einen Kompressions-BH und half mir auch gleich, ihn anzuziehen. Ich sollte die passenden Schaumstoffepithesen einlegen, denn sonst würde er natürlich nicht straff sitzen. So. Und so. Reißverschluss zu. Häkchen, Häkchen. Pyjamajacke zugeknöpft. Fertig. Ihr begeisterter Ausruf: „Frau … , sie gefallen mir richtig gut!“ Ich schaute irritiert auf die Hügellandschaft. Eigentlich wäre mir ein straff sitzendes, leicht gepolstertes Bustier viel lieber gewesen. Ich hätte mir auch vorstellen können, die breite Bandage zu behalten. Aber das war offenbar nicht vorgesehen. Dabei sehnte ich mich doch danach, meinen flachen Oberkörper kennen zu lernen, ihn anzusehen, mich mit ihm anzufreunden. Wie sollte das funktionieren, wenn direkt wieder „falsche Brüste“ dazwischen kamen?

Später erschien eine Frau vom Sozialdienst, die mit mir zusammen den Antrag für einen Behindertenausweis ausfüllen wollte. Ich traute meinen Ohren nicht: Wofür? Nach der Überrumpelungsaktion mit den „Schaumstoffhügeln“ war ich nun etwas geistesgegenwärtiger und fragte, ob ich das unbedingt machen müsse – sie verneinte und ging wieder.

War ich denn ohne Brust behindert? Ging es wirklich vor allem darum, sich äußerlich der Norm anzupassen? Im Krankenhaus hatte ich keine Lust auf eine Konfrontation, also hielt ich mich an die Spielregeln. Und blieb hin und wieder etwas länger im Bad, wo ich mich vor den Spiegel stellen und ungestört betrachten konnte.

Digitale Wegweiser

Stell dir vor, es gibt eine Kreuzung, von der drei Wege abgehen: Der eine führt zur Brustrekonstruktion, der andere zu äußeren Epithesen und an jedem der beiden Wege winken Menschen mit Informationen oder mit Wegzehrung und es gibt Licht, das leuchtet ein bisschen voraus. Aber am dritten Weg, da wartet keiner. Da ist es dunkel und einsam. Und obwohl du weißt, warum du die ersten beiden Wege nicht einschlagen wirst, fürchtest du dich ein bisschen…

Ohne die vielen gleichgesinnten Frauen, von denen ich erst über das Internet gehört hatte, wäre ich mutlos gewesen. Tausend Dank euch allen da draußen! Aber könnte nicht auch das „Gesundheitssystem“ ein bisschen darauf reagieren und den „dritten Weg“ leichter machen?

Humor ist, wenn man trotzdem lacht

Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus hatte ich einen Kontrolltermin in der Praxis des Vertretungsarztes meiner Gynäkologin. Er warf einen flüchtigen Blick auf die gut heilenden Wunden und fragte mich:

„Schon über einen Aufbau nachgedacht?“